Gedenken zum Tag der Befreiung
Kranzniederlegung am Holocaust-Mahnmal Nicolaistraße

Zum Gedenken der Opfer des Zweiten Weltkrieges legten Schönebeckers Oberbürgermeister Bert Knoblauch, Stadtrats-Vorsitzende Cornelia Ribbentrop sowie die Vorsitzenden der Stadtratsfraktionen von CDU, SPD, Die Linke und Grüne/FDP/Below/Kowolik Kränze am Mahnmal Nicolaistraße nieder. Die Stadtrats-Vorsitzende fand in ihrer Ansprache mahnende Worte angesichts der aktuellen Lage:
"Am 8./9. Mai 1945 endete der zweite Weltkrieg in Europa. Entfesselt vom Deutschen Reich hatte er binnen sechs Jahren weltweit etwa 60 bis 70 Millionen Menschenleben gefordert, in der Mehrzahl Zivilisten. Das europäische Judentum hatten die Deutschen nahezu ausgelöscht.
Allein die Sowjetunion beklagte 27 Millionen Tote, knapp die Hälfte davon Angehörige der Roten Armee, von denen wiederum jeder Vierte nicht im Kampf fiel, sondern in deutscher Kriegsgefangenschaft umkam. Dagegen hatte der Aggressor Deutschland mit 6,35 Millionen Toten - weit überwiegend Soldaten - sowohl absolut wie auch im Verhältnis zur Bevölkerungszahl deutlich weniger gelitten. Ein ähnliches Bild ergibt sich für den Fernen Osten. China verzeichnete als Hauptleidtragender der japanischen Aggression zwischen 1937 und 1945 etwa 13,5 Millionen Tote, Japan dagegen "nur" 3,76 Millionen. Im Indien wiederum, das lediglich am Rande Kriegsschauplatz geworden war, waren allein 2 Millionen Menschen infolge kriegsbedingter Nahrungsmittelverknappung verhungert.
Am stärksten gelitten hatte jedoch Polen mit sechs Millionen Toten. Jeder sechste Einwohner des Landes war ums Leben gekommen. Diese Schreckensbilanz verbindet sich mit derjenigen des Mordes an den europäischen Juden. Denn jeder zweite getötete Pole war jüdischen Glaubens. Insgesamt fielen während des Krieges etwa sechs Millionen europäische Juden dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer. In weiten Teilen Europas war jüdisches Leben so gut wie ausgelöscht.
Der Weltkrieg hatte überdies die Gesundheit von Millionen Menschen mehr oder weniger schwer und dauerhaft geschädigt. Ihre Zahl lässt sich auch nicht annähernd genau schätzen. Nach lange Zeit nach Kriegsende prägten körperlich schwer geschädigte Opfer des Krieges das Straßenbild in den betroffenen Ländern. Sie stellten jedoch nur die "Spitze des Eisbergs" dar. Vielen Kriegsinvaliden war ihre Versehrtheit nicht anzusehen. Weitgehend unsichtbar blieben sie vom Krieg verursachten seelischen Schäden. Allein in Deutschland lebten unmittelbar nach dem Krieg 1,5 Millionen körperlich und seelisch Versehrte beider Weltkriege. Jenseits dieser offiziell erfassten Zahl hinterließen Frontkämpfe, Kriegsgräuel, Holocaust, Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung eine ganze traumatisierte Generation.
Um das "richtige" Gedenken an diesen Tag wird bis heute gestritten (*Bundeszentrale für politische Bildung). Was ist das "richtige" Gedenken? Sollte überhaupt dieses Tages gedacht werden? jetzt, wo das Wort Krieg nicht mehr nur ein Begriff aus ferner Geschichte, sondern eine schreckliche Realität in nur 1000 Kilometern Entfernung ist? Die Antwort lautet: Ja! Ja, es muss erinnert werden. Es muss gemahnt werden. Es braucht auch diese Gesten. Sie sind wesentliche Mosaiksteine für den achtungsvollen Umgang miteinander, für unsere Demokratie und für den Frieden. Die Schrecken des Krieges, der Völkermord, hervorgerufen durch den Rassenwahn der Nationalsozialisten, durch Propaganda und Lügen, die Befreiung von der Gewaltherrschaft, der Mut und das Leid Vieler, die Schuld derer, die gewählt waren, zum Wohle des Volkes zu agieren: Nicht davon darf in Vergessenheit geraten.
"Es gibt keinen Weg zum Frieden - Frieden ist der Weg". Mit diesen Worten rief Mahatma Gandhi seinerzeit zur Beteiligung am Friedensprozess auf. Frieden ist aufeinander zugehen. Ein fortwährender Prozess und global weder einfach noch schnell zu erreichen. Und doch ist es genau und nur dieser Weg des Humanismus, des Respekts, der uns Menschen ein Miteinander auf Augenhöhe ermöglicht. Frieden ist nicht selbstverständlich und wie zerbrechlich Frieden ist, wir uns allen gerade schmerzhaft bewusst. 76 Jahre Frieden in Europa. Das habe ich im vergangenen Jahr sagen können und ich hätte so gern in diesem Jahr von 77 Jahren Frieden in Europa gesprochen. Stattdessen kam zu den 29 weltweit schwelenden Kriegen und bewaffneten Konflikten ein weiterer Krieg hinzu.
Plötzlich ist die graue Theorie blutroter Ernst und wir werden uns unserer eigenen Ahnungs- und Hilflosigkeit bewusst. Wer hätte schon damit gerechnet, dass Wladimir Putin die russische Armee tatsächlich in die Kraine einmarschieren lässt und wer ist nicht schockiert von der Brutalität, dem Ausmaß der Zerstörung und den unverhohlenen Drohungen durch den russischen Präsidenten und seine Führungsriege.
„Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer.“ (*Aischylos) Was können wir glauben? Was ist Lüge? Was können wir tun? Wie verhalten wir uns richtig? Schafft die Lieferung von Waffen ein Gleichgewicht zwischen den Kriegsparteien und damit einen Stillstand der Aggression oder gar Frieden? Wo führt das alles hin? Sollte es tatsächlich keine Generation in Europa geben, die von sich behaupten kann, keinen Krieg erlebt zu haben? Ich möchte, dass auch meinen Kindern ein Leben ohne Not, Entbehrung und Kriegsleid zuteil wird.
Gedenken wir heute all jenen Menschen, die im zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren. Gedenken wir denen, die ihre Familie, die ihre Heimat verloren. Gedenken wir all denen, die trotz allem ihren Mut und ihre Hoffnung bewahren konnten und die uns den Weg in den Frieden ebneten. Gedenken wir aber auch den Opfern des Ukrainekrieges und der Kriegsopfer in aller Welt. Anerkennen und übernehmen wir die speziell uns erwachsene Verantwortung.
Kriege können verhindert werden, wenn Staaten und Länder dazu bereit sind, gewaltfreie Wege der Konfliktlösung zu gehen und über den Frieden zu verhandeln (*Berghof Foundation). In der Hoffnung, dass die Verantwortlichen aller Kriegsparteien, alle Politiker und alle Menschen danach handeln mögen, schließe ich mit den Worten von Altbundeskanzler Helmut Schmidt: „Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln als eine Minute schießen.“