Pogromnacht: Gedenken am Holocaust-Mahnmal 2017

 „Es ist gut, dass dieses Gedenken an die zahlreichen jüdischen Opfer des Naziterrors am 9. November 1938, aber auch an die Millionen Opfer des Nationalsozialismus insgesamt von 1933 bis 1945, hier in Schönebeck in Würde und Beharrlichkeit fortgesetzt wird. So können wir zurecht von einer fest in unsere Herzen und Köpfe geschrieben Tradition der Erinnerungskultur sprechen. In diesem Jahr ist, wie wir alle schmerzlich erfahren mussten, am 14. September unsere hochverehrte und in Schönebeck aufgewachsene Freundin Judy Urman, geborene Jutta Lübschütz, im Alter von 90 Jahren im Shalom-Park Aurora in Colorado verstorben. Dies war ein sehr trauriger Moment wohl für uns alle. So soll das heutige Gedenken auch im Zeichen dieser für unsere Stadt so verdienstvollen und liebenswürdigen Persönlichkeit stehen. Mit Judy Urman wollen wir hier an eine Frau erinnern, ihrer gedenken und sie posthum immerfort ehren, deren verehrte Schwester Ruth Lübschütz-Nathan gemeinsam mit ihrem Mann und ihren drei kleinen Kindern zu Opfern des Holocaust geworden sind. Erst in den 80-er Jahren hatte Judy Urman vom tragischen Schicksal ihrer Schwester Ruth und ihrer Familienmitglieder erfahren, die allesamt in den Gaskammern von Auschwitz umgekommen waren. Wir können nicht an Judy Urman denken, ohne uns zunächst gleichzeitig ihre zutiefst leidvolle Familiengeschichte zu vergegenwärtigen. Judy Urmann selbst wird vielen Menschen in Schönebeck, besonders aber vielen jungen Menschen, immer in allerbester Erinnerung und immer auch nah bleiben. Nicht zuletzt deshalb, weil sie es sich angesichts dieser schlimmen Erfahrungen zur Aufgabe gemacht hatte, der jüngeren Generation als Zeitzeugin aus ihrem und dem Leben ihrer Familie zu berichten. Unterstützt vom ihrem verehrten Ehemann Ernest Urman tat sie dies sehr erfolgreich. 1987 weilte das Ehepaar schließlich erstmals zu Besuch bei uns  in Schönebeck. Hier traf sie den Autor und Jugendfreund von Ruth, Dr. Kuntze, der eine geschichtliche Abhandlung über das Schicksal der Schönebecker Juden verfasste. Und hier besuchte sie auch die im November 1938 geschändete und entweihte Synagoge in der Republikstraße. Im Zuge dieser Ereignisse wurde der gedanke geboren, einen Platz in Schönebeck nach dem Namen ihrer Schwester – Ruth Lübschütz – zu benennen. Jenen Politikern, die uns dort am Lübschützplatz vor Wahlen regelmäßig von Plakaten aus anlächeln, möge die Bedeutung der Namensgebung des Platzes immer bewusst sein, wünschen wir uns. Judy Urman indessen stiftete schon bald darauf – nämlich im Jahre 1991 – gemeinsam mit ihrem Mann den großartigen Urman-Preis für Schönebeck. An dieser Stelle sei einmal aus dem Gründungspapier zitiert: „Sinn und Absicht ist, unter der Schuljugend die Erinnerung an die einst in Schönebeck existierende jüdische Gemeinde zu bewahren und an das, was den jüdischen Frauen, Männern und Kindern auch in dieser deutschen Stadt in der Zeit des Faschismus angetan worden ist.“ Zitat Ende. Heute können wir sagen, dass dieser Anspruch erfüllt worden ist: Es entstanden zahlreiche eindrucksvolle Arbeiten zur dunkelsten regionalen Geschichte von Schülerinnen und Schülern aus Schönebeck und dem Umland, darunter Aufsätze, Bilder, Lieder, Gedichte, Plastiken, Kunstinstallationen und weitere, nicht selten mit großer Professionalität durchgeführte Projekte. Auch heute danken wir dafür den Schülern, aber eben auch noch einmal Judy und Ernest Urman sehr herzlich! Die Kontakte zu unserer Stadt rissen seither nicht ab. Ein Höhepunkt war ein Besuch von Schülerinnen und Schülern des Dr.-Carl-Hermann-Gymnasiums im Frühjahr 2014 in Colorado in den USA, von dem die jungen Menschen beste Erinnerungen mitbrachten. Nachdem Ernest Urman bereits im Jahre 2013 verstorben war, erhielten wir im September dieses Jahres nun die traurige Nachricht vom Tode „unserer“ Judy Urman. Ein an Wendungen und Schicksalsschlägen reiches Leben einer starken Frau, deren ihr innewohnender Humanismus von niemandem gebrochen werden konnte, hatte sein Ende gefunden. Wir vermissen eine Zeitzeugin des Schreckens, eine Frau, die sich trotz alledem unserer Stadt immer verbunden fühlte. Wir werden und immer gern an sie erinnern und verneigen uns vor ihrer Lebensleistung.“