Zum 80. Geburtstag von Werner Tübke

tbke3_011Der in Schönebeck (Elbe) geborene, bedeutende deutsche Kunstmaler Prof. Werner Tübke wäre am 30. Juli dieses Jahres 80 Jahre alt geworden. Der großartige Künstler genießt weltweit ein hohes Ansehen und hat ein umfangreiches, spektakuläres, tiefschürfendes und von höchster Meisterschaft geprägtes Werk hinterlassen. Werner Tübke verstarb am 27. Mai 2004. Eine Retrospektive im Museum für Bildende Künste in Leipzig zeigt anlässlich seines Geburtstages noch bis zum 13. September dieses Jahres über 40 Gemälde dieses beeindruckenden Oeuvres.

Die Stadt Schönebeck (Elbe) hatte schon zu Lebzeiten eine Bronzetafel am Geburtshaus des Malerfürsten am Markt 13 anbringen lassen. Auch Schönebecks Oberbürgermeister Hans-Jürgen Haase, der einen engen Kontakt zu dem ehemaligen Rektor der Hochschule für Graphik und Buchkunst in Leipzig pflegte und dessen Werk schätzt, würdigte dieses noch einmal und nimmt Anfang August an einer Gesprächsrunde über Tübke in der Begegnungsstätte des ABiSA im "Punkt 12" am Markt teil.
Die ersten künstlerischen Schritte unternahm Werner Tübke schon in seiner Vaterstadt an der Elbe. Naturstudien gingen mit ersten Zeichnungen der Elbauen, aber auch des Marktes von Schönebeck einher. Nach einer Malerlehre, dem Besuch der Handwerksmeisterschule in Magdeburg sowie dem Abitur 1946/47 studierte Werner Tübke von 1948-1950 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig. Besonderen Einfluss übte dabei die Künstlerin Katharina Heise auf ihn aus, deren Schönebecker Kreis er angehörte.
Es folgte ein von großer malerischer Intensität geprägtes Leben für die und mit der Kunst in Leipzig. Tübke unternahm inspirierende Reisen wie etwa nach Italien und war einer der herausragenden Maler der periodischen DDR-Kunstausstellungen in Dresden. Sein Lebenswerk stiftete er schließlich testamentarisch dem Germanischen Nationalmuseum. Ausgestellt werden viele seiner Werke indes in einer Dauerwerkschau in seinem ehemaligen Domizil und Atelier in der Leipziger Springerstraße. Werner Tübke wurde 2004 auf dem Leipziger Südfriedhof beigesetzt. Im Mai 2006 ist die Tübke Stiftung Leipzig ins Leben gerufen worden.
Nach einem Auftrag der DDR-Regierung im Jahre 1976 schuf der Künstler in 11-jähriger intensiver Schaffensperiode, die seine körperliche Leistungsgrenze strapazierte, das einzigartige Monumentalgemälde "Die Frühbürgerliche Revolution in Deutschland". Dieses ist seit 1987 in einem Panorama-Rundbau auf dem Schlachtberg in Bad Frankenhausen zu bewundern. Das Ölgemälde ist 123 Meter lang und 14 Meter hoch, wurde in gewohnt altmeisterlicher Technik gemalt und zeigt über 3000, oft lebensgroße Figuren.

Hatten sich manche Kulturpolitiker der DDR ein konformistisches, plakatives, ja propagandistisches Werk rund um den Bauernkrieg in der bloßen Auseinandersetzung zwischen Arm und Reich mit Schrecken und Ausbeutung erwartet, setzte Tübke dem ein nachhaltiges, eigenwilliges, kritisches sowie religiös, kulturhistorisch und philosophisch tiefsinniges Gemälde in höchster technischer Meisterschaft entgegen. Es sucht seinesgleichen und seine Streitbarkeit und sein Anspruch sollten auch in der modernen demokratischen Gesellschaft Bestand haben und Anerkennung genießen.
Es ist nicht übertrieben, wenn viele Betrachter sagen: "Dieses Bild muss man einfach gesehen haben." Man kann Stunden und Tage "darin" verbringen, entdeckt immer wieder neue Details, die zum Nachdenken anregen und angesichts des geschichtlichen Hintergrundes den Bogen in die heutige Zeit zu schlagen imstande sind. Zentrale Themen sind der Deutsche Bauernkrieg, die Reformation im 16. Jahrhundert und die bahnbrechende Kulturepoche der Renaissance selbst.
Tübke beschreibt einerseits die großen gesellschaftlichen Umbrüche vom ausgehenden Mittelalter hin zur "Wiedergeburt" der Antike vor allem im 16. Jahrhundert als Übergangsphase zur Neuzeit. Andererseits zeigt er das innere Mysterium des menschlichen Daseins und dessen Janusköpfigkeit mit Geburt und Tod, mit Glaube, Liebe, Hoffnung und Hass - von den Tugenden bis zu den Todsünden, von der Sinnlichkeit bis zum Sinn, von der Vertreibung der Musen bis zu apokalyptischen Ahnungen und Mahnungen.
Der Maler zitiert dabei oftmals auch die Sinnbilder der Bibel und bildmotivisch gelegentlich Alte Meister und Vorbilder wie Hieronymus Bosch oder Lucas Cranach. Jedoch kopiert er die Alten Meister nicht bloß, sondern beherrscht exzellent ihre Maltechnik und findet darüber hinaus zu einem eigenen Stil. Ein echter Tübke ist unverkennbar. Die Einzelporträts reichen vom Bauern mit dem berühmten Bundschuh bis zum von Dämonen umkreisten und weltfremden Papst. Tübkes Panoramagemälde ist ein wunderbares wie wundersames Kaleidoskop der menschlichen Fehlbarkeit wie ebenso ihrer Leistungsfähigkeit.
Das komplex durchstrukturierte und dennoch bewusst irritierende Werk ist von mystischen Anspielungen, Metaphern und Allegorien durchsetzt. Es zeigt opulente Schlachtszenen ebenso wie kulturtechnische Entwicklungen (Buchdruck) oder die bekannten handelnden Figuren der Zeitgeschichte wie Müntzer, Luther, Melanchthon, und Gutenberg. Auch Päpste, Herrscher und Inquisitoren fehlen nicht. In historische Figuren verpackte Selbstbildnisse des Künstlers finden sich ebenso wie die immer wieder in wechselnden Posen und Aussagen erscheinenden Narren bzw. Harlekine, die den Bildrundgang augenzwinkernd "begleiten".
Der westdeutsche Kunsthistoriker Eduard Beaucamp interpretierte das Rundbild als "historische Parabel menschlicher Irrungen und Wirrungen". Das Werk transzendiere die historische Wirklichkeit des Bauernkrieges "in die Zeitlosigkeit der apokalyptischen Entstehung der Welt oder deren Untergang". Über die Lebenserfahrungen des Künstlers hinaus werde das Schlachtbergpanorama so zum Spiegel einer von Utopien enttäuschten Übergangszeit. Das Werk verfügt indessen über einen kaum zu übertreffenden Schauwert auf der einen und über eine ebensolche gedankliche Tiefe auf der anderen Seite.
Tübkes Stil entsprach nicht, wie oft angenommen, dem sozialistischen Realismus, sondern einem magischen Realismus mit surrealen Zügen, schreibt etwa Wikipedia über das Malergenie. Als sein künstlerisches Vorbild betrachtete der frühere Schönebecker und spätere Leipziger neben Lucas Cranach vor allem Albrecht Dürer.
Neben dem Bauernkriegspanorama ist das Gemälde "Tod in Venedig" eines seiner bekanntesten Werke. Ein bedeutendes Spätwerk war das große Flügel-Altarbild für St. Salvatoris in Clausthal-Zellerfeld. Tübkes Malstil zeichnete sich aus durch seine manieristische Verzerrung und die oftmals altertümlich gekleideten Figuren.
In der kunsthistorischen Rückschau wird der Maler Werner Tübke hinsichtlich der Qualität, der Tiefe, der Schönheit, des Anspruchs und der Bildaussagen seines Gesamtwerks den westdeutschen "Großmeistern" des 20. Jahrhunderts wie Baselitz und Immendorff und wie sie alle heißen in nichts nachstehen.
Dem Ruch der Nähe zum diktatorischen System der DDR hat Tübke, ohne ihr zwar vollends zu entsagen, doch aber selbstbewusst, einigermaßen kauzig und eigensinnig entgegengewirkt: Er hat kaum wie viele seiner ostdeutschen Künstlerkollegen das ewige Hosianna der sozialistischen Zukunft gesungen, sondern sich einfach sehr weit "nach hinten" umgewandt, was man mit einiger Sympathie auch als Abwenden interpretieren könnte.
Dieses sich Umwenden nach hinten - in die Geschichte - hat er als überaus illustre Plattform erkannt, den Menschen seiner Zeit in Ost und West den Spiegel im Heute vorzuhalten. Auch wenn dieser nicht selten ganz bewusst ein Zerrspiegel war. Das Zurückschauen verkörperte gleichzeitig auch eine Sehnsucht nach Utopie, die er "leisten" wollte.
Tübkes analytischer Feinsinn kam latent daher, in der Maske, im Sinnbild, im historischen Zitat. Mit seinen Verschlüsselungen "vertuschte" er jedoch nichts, sondern malte nach dem Prinzip, dass nicht billige Entblößung, sondern subtile Verborgenheit mit einem gewissen Hervorlugen Aufmerksamkeit erregt, den Betrachter anspricht und herausfordert.
So ist es auch ein ungeheurer und allerdings nicht müheloser Spaß, seine komplexe Bildmotivik zu entschlüsseln: Spaß und ernsthafte Herausforderung zugleich. Nicht zuletzt sensibilisiert der Maler Werner Tübke uns damit auch für die Kunst selbst. In seiner Kunst kann sich der Betrachter verlieren und finden zugleich. Er kann den Fragen, die sie an ihn stellt, nicht ausweichen.
Wie heißt es doch so schön doppelbödig: Kultur ist keine Kunst. Aber Kunst ist Kultur in ihrer höchsten Form. Sie ist Zeugnis für das Maß und den Grad des Zivilisatorischen. Insofern hat der unnahbare Mensch Werner Tübke ein nahbares Werk geschaffen, das seinesgleichen sucht. Möge seine Strahlkraft noch lange fortwirken. Hans-Peter Wannewitz