Punkt 12: Gespräch über Werner Tübke

tuebke3Das kleine Lesecafé im Punkt 12 war dicht gefüllt: Der ABiSA und der Stadtseniorenrat hatten zu einem Gespräch anlässlich des 80. Geburtstages des in Schönebeck geborenen und 2004 in Leipzig verstorbenen Malers Werner Tübke geladen, und neben dessen Gattin Brigitte Tübke-Schellenberger und Oberbürgermeister Hans-Jürgen Haase waren kunstinteressierte Bürger, Zeitzeugen und Jugendfreunde Tübkes im Nachbargebäude seines Geburtshauses zusammengekommen. Frank Schiwek vom ABiSA gab zunächst eine kurze Einführung über das Werk und Leben des großen Künstlers, den man unter anderem als "kritischen Malerfürsten der DDR", als "magischen Surrealisten", als "Magier der Leinwand", als "visionären Verwandler" und als "Fremden im eigenen Land" bezeichnet hatte. Ohne Zweifel war Tübke, der mit zehn Jahren beschloss, "Maler zu werden", einer der bedeutendsten zeitgenössischen Maler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Verschiedene Schönebecker Jugendfreunde des Meisters hatten Interessantes von ihren Begegnungen mit ihm zu berichten, und seine Gattin, die extra aus Leipzig nach Schönebeck gekommen war, zeigte sich sehr dankbar darüber. Tübke, der nach dem Kriege ein dreiviertel Jahr unschuldig in russischer Haft saß, hing sehr an seiner Heimatstadt und deren Elbauen, wie seine Frau nochmals bestätigte. Er war "schrecklich sesshaft" und dennoch Weltbürger, der den großen Atem der Geschichte seinen teils monumentalen Werken einhauchte. Das bedeutendste ist die "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland" auf dem Schlachtberg des Bauernkrieges in Bad Frankenhausen. Kein kunstinteressierter Schönebecker sollte sich einen Besuch dort oben entgehen lassen - er wird lange davon zehren können. Es handelt sich um ein 123 Meter langes und 14 Meter hohes Meisterwerk über die Epoche der Renaissance. Von diesem in 11-jähriger Schaffenszeit entstandenen Panoramabild wird man vermutlich noch sprechen, wenn die sozialistischen Realisten und die westdeutschen Spätmodernen längst vergessen sein werden. Während des Gesprächs am Mittwoch im Punkt 12 zeigte der Schönebecker Maler Eberhard Frank, sechs Jahre jünger als Tübke und mit ihm wenigstens einmal "Windrad" spielend, überraschend ein erst in jüngster Zeit bei ihm zu Hause entdecktes Selbstporträt als junger Mann in Öl des Malerfürsten. Ein Raunen ging durch den Raum und Brigitte Tübke-Schellenberger versprach, das Bild in das Werkverzeichnis aufzunehmen. Tübke selbst, so sagte er augenzwinkernd als "Zeuge des Jahrhunderts" kurz vor seinem Tode im ZDF, habe beim Malen am liebsten im Radio Sport gehört. Das förderte seine Konzentrationsfähigkeit: "Meine Leichen habe ich am liebsten bei der Übertragung von Leichtathletikwettbewerben gemalt." Er musste dies verbal derart grotesk vereinfachen, da die Komplexität seiner Werke auf diese Art schlechthin nicht vermittelbar ist und er wie andere Künstler auch seine eigenen Werke nicht öffentlich interpretiert, sondern sie selbst sprechen lassen möchte. Am Mittwoch im Punkt 12 dabei war unter anderen auch sein langjähriger Freund Werner Grundmann, der sich erinnerte, dass Tübke Mutter in schwerer Zeit auch gelegentlich "Aquarelle ihres Sohnes gegen Briketts" herausgab. Er selbst hatte sich mit dem anderen Werner immer an der Persiluhr vor dem Milchpavillon auf dem Markt getroffen. "Ich bin dankbar, ihn gekannt zu haben." Darin war er sich mit den anderen Zeitzeugen wie Frau Held, Herr Schubert und Herr Kohle einig. Foto: Brigitte Tübke-Schellenberger betrachtet ein überraschend wiederentdecktes Selbstporträt ihres Mannes.