Kommentar: Die IBA und der Heimatbegriff

- ja, mit dem Ruch der schrecklichen deutschen Vergangenheit behaftete - Wort nicht ein wenig vom Makel des Gestrigen befreien, ohne die Geschichte in irgendeiner Weise zu relativieren oder gar zu vergessen? Ist Heimat vielleicht sogar einfach nur etwas Gutes? Und was hat das alles mit der IBA zu tun? Fragen über Fragen. Zum Versuch ihrer Beantwortung muss ich zunächst einen kleinen Ausflug in meine Kindheit unternehmen. Da nahm mich 6-jährigen Steppken eines Tages wieder mein Großvater an die Hand, um mit mir durch jenes Elbedorf zu schlendern, in dem ich groß geworden bin. Ich liebte diese Spaziergänge, erzählte mir mein Opa doch allerlei höchst Interessantes zu diesem oder jenem Gehöft und Gemäuer, zu diesem oder jenem Baum und Storchennest, zu diesem oder jenem Dorfbewohner schließlich auch. Darunter waren natürlich auch Legenden, Moritaten und andere halbwahre Erfindungen, wie sie nur ein halbwegs betagter Mann zum Besten geben kann. Was dieser Tag mir aber vielleicht gebracht hatte, war, dass ich ? wenn vielleicht auch unterbewusst ? wieder einmal spürte, welche Menschen mir nahe sind und welche Dorfstraßen, ?winkel und ?köter dazu. Darüber hinaus wurde mir wieder einmal gewahr, welche sehr eigenen Gerüche, welche Geräusche, welche Geheimnisse und welche wundervollen Ansichten dieses Dorf neben meiner Familie, meinen Freunden und Schulkameraden zu bieten hatte. Mein Opa war ein Chronist, der mir Nähe zu meinem Heimatort einträufelte. Ich wusste damals zu Beginn der 60-er Jahre so gut wie nichts über den Krieg und die Zeit des Nationalsozialismus und auch nur äußerst wenig über die DDR und die deutsch-deutsche Spaltung, aber fern von jeder gesellschaftspolitischen Dimension entstand in jenen Jahren mein ureigenes Heimatgefühl, die enge Bindung an jenes Erdfleckchen, auf dem ich mich zu Hause fühlte. Heimat war und ist also jener Ort und jene engere Region, wo man zu Hause ist, wo die Menschen leben, die man mag und liebt, und wo man die vertraute Dorf- oder Stadtlandschaft findet, die einem ans Herz gewachsen ist. Das muss nicht unbedingt der Geburtsort sein, aber es ist das Zuhause. Natürlich kann und muss nicht jeder Mensch den Heimatbegriff verinnerlichen, zumal er es in den heutigen Zeiten der beruflich geforderten ?Flexibilität und Mobilität? ohnehin alles andere als leicht hat. Dennoch ? für mich stellt er nach wie vor einen stattlichen, im Falle Schönebecks, Naumburgs und Wittenbergs auch ?städtischen? Wert dar, denn er verkörpert Bindung und Identität, letztendlich Lebensqualität. Von der engeren Heimat schlägt sich notwendigerweise, wie wir längst wissen, der wunderbare Regenbogen zu unserem Heimatplaneten Erde, wenn auch die Farben dieses Regenbogens angesichts von Umweltzerstörung und Klimawandel zu verblassen drohen. Wir schauen aus den Fenstern unserer Wohnhäuser hinauf zu den Sternen und wissen, dass wir alle Erdbewohner sind. Die eigentliche Nähe spüren wir zur Ackerkrume der Erde unserer Gärten und Felder und zur großen Erde zugleich. Vielleicht hat das Wort Erde auch deshalb diese schöne Doppelbedeutung. Die Zwischengrenzen wie die Kreis-, die Landes-, die Bundes- oder gar die Kontinentsgrenze verlieren angesichts dieses engeren und weiteren Heimatbegriffes der ?Zwei-Erden-Bürger? einigermaßen an Bedeutung, sind sie doch ohnehin oft nur politische Zickzacklinien, die einst nicht selten durch Machtgier, Landraub oder Kriege generiert worden waren. Natürlich erkennen wir sie ordnungspolitisch an und achten sie auch entsprechend ? aber sind sie uns wirklich wichtig bis ins Knochenmark? Wohl kaum. Heimat ist und bleibt unser Zuhause ? als Erdenbürger wie als Weltbürger. Tja, und was hat die Internationale Bauausstellung ?Stadtumbau 2010? in Sachsen-Anhalt damit zu tun? Nun, den Heimatplaneten als ganzen kann sie sicher nur sehr bedingt ins Blickfeld nehmen. Jedoch haben die Macher aus Dessau und Magdeburg den Weltzusammenhang ihres Themas wissentlich ins Programm gesetzt und organisieren internationale Konferenzen mit den Titeln ?Die kleinen Städte ? Profilierung zwischen Autonomie und Subvention? sowie ?Stadtumbau 2050: Mitteldeutschland, Nordjapan, Ostpolen?. Diese beiden Konferenztitel allein bestätigen buchstäblich das Verhältnis und die Bedeutung des beschriebenen, engeren und weiteren Heimatbegriffes. Ich denke, der IBA-Prozess kann vor allem aber die dargestellte Identität und Bindung zum eigentlichen Heimatort und damit das Heimatbewusstsein und ?gefühl stärken. Als verschiedene Schönebeckerinnen und Schönebecker während eines IBA-Spazierganges vor wenigen Monaten uralte Fotos der Altstadt hervorkramten und mit unseren Stadtplanern und Mitarbeitern des IBA-Büros das ?Vergehen und Entstehen? städtischer Strukturen diskutierten, verbreitete sich dieses Gefühl spürbar wachsender Nähe zum Stadtquartier, zur engeren Heimat unter den Anwesenden. Bei verschiedenen anderen IBA-Veranstaltungen wiederholte sich diese progressive Atmosphäre. Nun ist hier nicht der Platz, das IBA-Thema Schönebecks oder anderer Städte detailliert zu beschreiben. Aber die Untersetzung dieser Themen mit konkreten Projekten der Stadtplanung und ? entwicklung einschließlich der bereits gewährten Förderungen durch das Landesentwicklungs- und Verkehrsministerium kann eben dieser notwendigen, neuen Heimatbindung noch weitere Kraft geben. Über diese emotionale und doch auch sehr handfeste Rückkopplung können sich die Bürgerinnen und Bürger umgekehrt in die Stadtgestaltung einbringen, es entstünden die mit dem modernen Wort Synergien beschriebenen Wechselwirkungen. Am Ende dieses hoffnungsfrohen IBA-Prozesses könnte dann vielleicht immer öfter jenes Wort zu vernehmen sein, welches an dieser Stelle noch etwas idealisiert klingen mag: ?Ich bin ein echter Schönebecker und ein Erdenbürger zugleich.?