ABiSA: SOLEPARK mit Ehrenpreis und Pretziener Kita mit Ehrenurkunde

allerlei_033versicherte, dass der Solepark auf diesem Wege weiter voranschreiten werde. Eine Ehrenurkunde erhielten Johanna Michelis Claudia Bolde aus Stendal, Manuela Fischer (IMG) sowie die Kita „Benjamin Blümchen“ aus Pretzien, die aus freien Stücken eine Initiative ins Leben rief, Kinder mit dem Thema Behinderung vertraut zu machen und ein frühes Verständnis dafür zu wecken (siehe Laudatio von Frank Schiwek). Auch Kita-Leiterin Christine Conrad (Mitte) bedankte sich herzlich für diese schöne Auszeichnung.Während Dr. Jürgen Hildebrand (ABiSA) Robert Musil zitierte (Kleine leise Leistungen setzen manchmal mehr Energie frei als große laute Taten) und die Ausführungsbestimmungen des Bundesteilhabegesetzes anmahnte, Gabi Brakebusch sich für den Erhalt von Förderschulen aussprach und Petra Grimm-Benne den positiven Einfluss des Landesbehindertenrates auf das vor seiner Verabschiedung stehende Behindertengleichstellungsgesetz Sachsen-Anhalts hervorhob, bedankte sich Bert Knoblauch für das jahrelange Engagement des ABiSA als „wichtigen, konstruktiven Partner bei verschiedensten Vorhaben“, warb für mehr Bewusstsein für die Barrierefreiheit und stellte den zentralen Begriff des Kompromisses bei der ständigen Zusammenarbeit heraus. Dr. Hildebrand schließlich schloss mit Albert Einstein: „Es gibt viele Wege zum Glück, aber der erste ist, aufzuhören mit Jammern.“ Im Folgenden die Laudationes für den SOLEPARK und die Kita Benjamin Blümchen.

Laudatio Ehrenpreis – SOLEPARK

Die UN – BRK regelt, an deren Ratifizierung in Deutschland sich der jährliche Termin unserer Festveranstaltung orientiert, regelt Normen und Grundsätze und eben die Rechte der Menschen mit Behinderungen in ALLEN Lebensbereichen. Von der Bildung, über den Sport und das öffentliche Leben bis hin zum Tourismus. Konkret sagt z.B. der Artikel 30: Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen, gleichberechtigt mit anderen am kulturellen Leben teilzunehmen, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen

  • a) Zugang zu kulturellem Material in zugänglichen Formaten haben;
  • b) Zugang zu Fernsehprogrammen, Filmen, Theatervorstellungen und anderen kulturellen Aktivitäten in zugänglichen Formaten haben;
  • c) Zugang zu Orten kultureller Darbietungen oder Dienstleistungen, wie Theatern, Museen, Kinos, Bibliotheken und Tourismusdiensten, sowie, so weit wie möglich, zu Denkmälern und Stätten von nationaler kultureller Bedeutung haben.

Bei der Umsetzung dieser Vorgaben mitzuwirken war und ist eine Aufgabe des ABiSA e.V. Im Interesse der von uns betreuten Gäste, Kunden und Mitglieder am Standort Schönebeck für die zahlreichen Ausflugsfahrten und Kurzreisen, also quasi ein wenig aus Eigennutz, aber auch für die Menschen mit Behinderungen im ganzen Land und letztlich auch für Besucherinnen und Besucher mit einer Behinderung, sei es nun auf Luthers Spuren, auf der Straße der Romanik, in den Gartenträumen oder zum Bauhausjubiläum, läuft intern und extern ein ständiger Evaluierungsprozess. Neu entstehende, oder nach Sanierung neu eröffnete Einrichtungen des Gaststätten- und Beherbergungsgewerbes, kulturelle Einrichtungen, wie Museen, Theater, Ausstellungsräume und Einrichtungen zur Freizeitgestaltung werden immer wieder auf ihre Nutzbarkeit und ihre Barrierefreiheit hin überprüft.

Das passiert wie gesagt bei den einzelnen Reisevorbereitungen, in Zusammenarbeit mit der Investitions- und Marketinggesellschaft des Landes Sachsen-Anhalt oder in konkreten Modellprojekten, wie beispielsweise dem zeitweiligen Zweckbetrieb BASA „Barrierefreies Salzland“, und der „BASA – Nord“ für den Altmarkbereich, die der ABiSA unterhielt. Von den Erfahrungen, die man bei solchen Analysen macht zu berichten, hieße, den Rahmen der Veranstaltung zu sprengen und in Historien und Histörchen zu schwelgen, die teilweise Stirnrunzeln, aber auch viele Lachfalten produzieren würden.

Hotelbesitzer, die die Erfasser wütend vom Hof jagen, Betriebsleiter, die zunächst zurückhaltend reagieren, dann mutig zupacken und letztlich erleichtert von vielen positiven Resonanzen berichten oder Erfasser, die quasi von der Polizei zur einzigen barrierefreien Sanitäranlage gefahren werden, weil die Ausschilderung vor Ort einfach nicht passt oder ausreichend gestaltet ist.

Wir machen unterschiedliche Erfahrungen und sehen, dass die Umsetzung der DIN -Normen oft nicht einfach wenn nicht sogar unmöglich ist. Die Berge im Harz haben eben teilweise eine andere Steigung als 6%, der Naturschutz verbietet Umwege durch den Wald oder eine historische Bausubstanz kann nicht bis zu Unendlichkeit verbogen und verbaut werden. Oftmals stoßen wir aber auch auf fehlende Einsicht, fehlenden Willen oder Vorurteile und mangelnde Kompromissbereitschaft, die mehr Barrierefreiheit verhindern. Offensichtlich kann das im nun folgenden Beispiel nicht der Fall sein, da ich eine Ehren- und nicht die ANTI – Preis Laudatio halten darf. Zugegeben große Berge als Hindernisse hat die Magdeburger Börde nicht. Sie stehen unserer Barrierefreiheit also nicht im Weg. Bei historischen Bausubstanzen sieht es da schon anders aus. Aber auch an klassizistischen Gebäuden stehen Säulen zum Glück mehr als 90 cm auseinander und man kann an Ihnen auch Schilder anbringen, die sehbehinderte Menschen gut lesen können, weil sie nicht durchscheinend, sondern kontrastreich gestaltet sind. In modernen Gesundheits- und Erholungsbädern kann man Bodenhülsen für Lifte vorhalten, die bei Bedarf durch das Badpersonal den Rollstuhlfahrern am gewählten Becken zur Verfügung gestellt werden. Auch hier kann man Hinweistafeln kontrastreich gestalten, die Handläufe am Beckenzugang mit Braille-Schrift versehen und Halterungen für Gehhilfen anbringen. All diese technischen Dinge lassen sich mit gutem Willen und zugegeben auch mit dem entsprechenden finanziellen Hinterland umsetzen. „Inklusion beginnt im Kopf“ ist einer meiner Lieblingszitate und hier kommen wir zu Barrieren, die sich oft schwerer abstellen lassen als die Türbreite, die Schriftart oder die Bordsteinkante: der Faktor Mensch. Wie weit lasse ich mich auf meine Kunden und Besucher ein. Welchen Hilfebedarf gestehe ich ihnen zu, wieweit und wie kann ich ihnen entgegenkommen? Wenn sich dann ein Team freiwillig Partner sucht, Arbeitsgruppen bildet und Fortbildungen besucht, dann scheint eben Inklusion auch in den Köpfen angekommen zu sein. Ich bin stolz und froh, dass ich bisher verklausuliert und umschreibend von einer wichtigen Einrichtung hier in Schönebeck reden konnte. Die klassizistischen Gebäude, die keine durchscheinenden Glasschilder, sondern blau hinterlegte Hinweistafeln haben, stehen im Kurpark von Bad Salzelmen. Das Bad, dass die Einstiegshilfen für mobilitätseingeschränkte Besucherinnen und Besucher vorhält, die Handläufe umgestaltet hat und die maßgeblichen Belange der Barrierefreiheit einhält, ist unser „SOLEQUELL“. Und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich in der Gebärdensprache fortbildeten, Spezialführungen für Menschen mit Sehbehinderungen erarbeiteten und die Belange von kognitiv gehandicapten Menschen berücksichtigen sind die Gästeführerinnen des SOLEPARKS Schönebeck – Bad Salzelmen. Von Beginn unserer touristischen Arbeit mit einer eigens dazu durchgeführten Fachkonferenz, die 2001 natürlich im Dr. Tolberg Saal stattfand, war der SOLEPARK stets nicht auf Anfrage bereit, sondern selbst Motor einer Entwicklung in Richtung inklusiver Nutzbarkeit. Oft saßen wir zusammen, haben Ideen geschmiedet, Konzepte diskutiert und Zahlen verschoben und letztlich immer Kompromisse gefunden. Den letzten Schritt zum Ehrenpreis ermöglichte gerade diese letzte Eigenschaft – die Kompromissbereitschaft. Durchfahrsperren an den Eingangsbereichen, die das Fahrradfahren im Kurpark verhindern sollten, erschwerten auch rollstuhlfahrenden Personen den Zugang zum Park. In den letzten Tagen und Wochen wurden sie entfernt, so dass ein Besuch im Kurpark jetzt nicht mehr mit einer anstrengenden Slalomfahrt beginnen muss. Hoffen und Appellieren wir gemeinsam auf die Vernunft alle Besucherinnen und Besucher und Nutzer der Kurparkwege, dass dieser Schritt nicht durch unerlaubtes Fahrradfahren zu einem neuen und gefährlichen Problem für mobilitätseingeschränkte Spaziergänger werden. Es ist es uns wichtig mit unserem Ehrenpreis drei Dinge zu tun:

  • - den 20. Geburtstag des Eigenbetriebes zu würdigen
  • - auf ein positives Beispiel für Machbarkeit im barrierefreien Tourismus hinzuweisen und
  • - Dank zu sagen

Dank für die Kreativität, die Aufgeschlossenheit, die Kompromissbereitschaft und das Engagement im Interessen der Menschen mit Behinderungen.

Laudatio Ehrenurkunde – Kindertagesstätte „Benjamin Blümchen“

Ein aktuelles Förder- und Aktionsprogramm der „Aktion Mensch“ trägt den Titel „Inklusion von Anfang an“. Ein Titel, dem man sich im Allgemeinen und ich als Förderschullehrer nur anschließen kann.

Seit fast 20 Jahren besteht meine berufliche Aufgabe darin, Schülerinnen und Schüler mit und ohne Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht einer Sekundarschule zu betreuen. Spätestens dann, wenn das Projekt „Mit einer Behinderung leben“ im Ethikunterricht der Klasse 6 auf der Tagesordnung steht, kann ich den Schülerinnen und Schülern immer wieder den gleichen Satz sagen: Eigentlich müssten wir die Seiten tauschen, denn von der Art, wie ihr mit einem Handicap bei euren Mitschülern umgeht, können eure Lehrerinnen und Lehrer eine Menge von euch lernen…“ Genau das beschreibt auch den Weg, den meine Schule als eine von sechs inklusiven Sekundarschulen in Sachsen-Anhalt gegangen ist und oft heute noch geht. Am Start des Weges bildeten die Lehrerinnen und Lehrer Arbeitsgruppen und stellten uns ganz wichtige Fragen… vor allem die, was wir machen, wenn das „Experiment“ nicht funktionieren sollte… Solche Fragen stellen sich Kinder nicht. Sie leben einfach und nehmen den Nächsten so wie er oder sie ist. Sicher ist neben einer hohen Abschlussquote für Schülerinnen und Schüler, die sonst eigentlich Schulabbrecher wären, nicht Alles „rosarot“ und es gibt auch bei uns Streit und Auseinandersetzungen.

Da sind die falschen Turnschuhe, die misslungene Frisur oder die uncoole Jeans wirklich wichtige Gegenstände. Das jemand mehr Hilfe braucht und bekommt, etwas nicht ganz so schnell versteht, wie der Banknachbar oder dass Jacob eine extra Sehhilfe beim Lesen braucht und der Lehrer ein Mikro tragen muss, das mit den Hörgeräte von Benjamin gekoppelt ist, spielt in solchen Situationen überhaupt keine Rolle. Das ist einfach „normal“. Wer Inklusion von Anfang an lebt und erlebt, hat bessere Chancen, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Oft hat das Grenzen – bauliche Voraussetzungen, die schon beschriebenen Vorurteile bei den erwachsenen Akteuren, fehlender Mut und vor allem fehlende Fachkräfte machen wirkliche Inklusion noch zu einem Traum. Aber wir können es schaffen, diesem Traum näher zu kommen – wenn wir jetzt die Weichen richtigstellen und alle gemeinsam auf dieses Ziel hinarbeiten. Richard von Weizsäcker formulierte treffend: „Maßstäbe für den Umgang untereinander ergeben sich aus den Erfahrungen während der Kindheit.“ Wenn wir von Anfang an gemeinsam groß werden, dann prägt das unser soziales Verhalten. Wir gehen ganz selbstverständlich miteinander um – egal, wie unterschiedlich wir eigentlich sind. Weil man es nicht anders kennt, weil es normal ist. Auch im Schönebecker Inklusionsnetzwerk, das in unserer Stadt Aktionen plant, um den Prozess des gemeinsamen – inklusiven – Miteinanders zu befördern diskutieren wir diese Frage sehr oft.

Immer wieder kommen wir zu dem Schluss, dass man die gelebte Normalität unsere Kinder auf- und mitnehmen muss, wenn wir nachhaltige Änderungen bei Allen für Alle bewirken wollen.

Daraus resultieren zahleiche Schulprojekte, die dieses Ziel umsetzen sollen. Aber noch früher als im Schulalter anfangen? Geht das?

Ja, es geht! Quasi vollkommen „ohne Not“ meldete sich im Rahmen des Projektes „Demokratie leben“ eine Kindertagesstätte bei uns mit den Worten: „Unsere Einrichtung ist barrierefrei gebaut. In unserem Ortsteil gibt es derzeit aber keine Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf. Trotzdem wollen wir, dass sich unsere Kinder mit dem Problemkreis auseinandersetzen und Erfahrungen sammeln.“ Zwei spontane Reaktionen dazu: „Hut ab!“ und „O, mein Gott“ – wie bringt man diese komplexen Probleme so kleinen Kindern nahe…“

Schnell waren aber Akteure gefunden und Frank Brehmer vom Blinden- und Sehbehindertenverband und Claudia Richter von der Selbsthilfegruppe „Gemeinsam stark für Schicksalskinder“ fuhren an zwei Tagen in die Kindertagesstätte „Benjamin Blümchen“ nach Pretzien. Jeder kann sich vorstellen, wie ihnen auf dem Weg zumute war, bei den Gedanken an die kleinen quirligen Pretzienerinnen und Pretziener.

Frank, ein versierter Interessenvertreter - insbesondere von Menschen mit Sehbehinderungen, und Claudia mit den Erfahrungen einer schweren Erkrankung, den Folgen daraus und einem großen Erfahrungsschatz aus der Jugendarbeit. Aber Kindergartenkinder??? Doch auch hier brachen die Kinder schnell das Eis. Nach kurzen Einführungen und Erzählungen fragten sie „einfach“ die sprichwörtlichen Löcher in den Bauch. Und auch hier erstaunte die Unbedarftheit der Kinder aufs Neue… Was ist Kindern wirklich wichtig… Beispielsweise die Frage, ob man als blinder Mensch überhaupt puzzeln könne. Neugierig und ohne Scheu wurden Hiflsmittel wie der Langstock, der klingende Ball oder der Rollstuhl einfach mal ausprobiert… Die ehemalige Leiterin der Kindertagesstätte, Anja Magel, berichtete uns später von Elterngesprächen, in denen sie erfuhr, wie intensiv die Kinder die Gespräche und gemachten Erfahrungen aufgenommen und verinnerlicht hatten. Und so war über die Jüngste / den Jüngsten plötzlich Inklusion Thema an vielen Abendbrotstischen in Pretzien. Kurzum: ein Projekt mit vollem Erfolg. Letztlich auch, weil die Kinder diese Tage nicht wieder vergessen werden und eine Rollstuhlfahrerin / einen Rollstuhlfahrer oder einen blinden Menschen nun mit ihren Erfahrungen anders sehen und einschätzen. Für die Idee, den Mut, die vielfältige Vor- und Nachbereitung ehrt der ABiSA e.V. die Kindertagesstätte „Benjamin Blümchen“ im Schönebecker Ortsteil Pretzien mit einer Ehrenurkunde. Die Erzieherinnen und Erzieher haben eindrucksvoll bewiesen: Begegnen wir uns offen mit unseren unterschiedlichen Talenten und Fähigkeiten, wird klar: Gemeinsam ist einfach mehr möglich!