Befreit von der Holzschale

Erster moderner Stampflehmbau Mitteldeutschlands am Ringheiligtum Pömmelte

20210907 Entschalung Lehmbau RHP

Seit Juli haben gut 50 Freiwillige 130 Tonnen Lehm in eine hölzerne Schalung gestampft. Zeitgemäße Architektur, gebaut fast wie zu Opas Zeiten und tausende Jahre zuvor: mit viel Körpereinsatz und den Baustoffen, die die Natur bereithält. Das längliche Gebäude steht direkt auf der frühbronzezeitlichen Mega-Siedlung vor den Toren des Ringheiligtums Pömmelte und wird nach seiner Fertigstellung als Besucherzentrum dienen. Jetzt wurden die Lehmwände von der Holzschale befreit, sie dürfen langsam trocknen, bevor das Flachdach aus Beton aufgesetzt wird.

Der Salzlandkreis betreibt und entwickelt das Ringheiligtum Pömmelte in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Es gilt als deutsches Pendant zum englischen Stonehenge und ist die nördlichste Station der Tourismusroute „Himmelswege“. Für das neue Touristeninformationszentrum werden rund 1,8 Millionen Euro investiert, zu 90 Prozent gefördert von Bund und Land Sachsen-Anhalt. Zur Ausstattung mit zukunftsfähiger IT-Infrastruktur stehen zusätzlich 800 000 Euro Fördergeld zur Verfügung. „Mit dem Bau vereinen wir Geschichte und Moderne“, verweist Landrat Markus Bauer auf die besondere Kombination. „Das neue Haus in alter Bauweise statten wir aus mit modernster, digital vernetzter Technik und einem Besucherservice, der noch einmal neue Anziehungskraft entfaltet. So wird das Ringheiligtum den Salzlandkreis touristisch weiter nach vorn bringen und dazu beitragen, die Region als attraktiven Wohn-, Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort zu etablieren.“, begründet der Landrat das große Engagement.

Bereits jetzt zählt die Rekonstruktion der Kultstätte als Anziehungspunkt. Seit Eröffnung 2016 stiegen die Besucherzahlen kontinuierlich an. Im letzten Jahr waren es 40 000 und auch im laufenden Jahr bereits mehr als 32 000, die kamen.

Die Besucher aus aller Welt können ab Herbst 2022 mit einem Besucherzentrum am Ringheiligtum Pömmelte empfangen werden. Das Besondere an diesem Bau: Lehm spielt hier die tragende Rolle. 130 Tonnen Lehm wurden über den Sommer für die Wände verbaut. Nach der Kapelle der Versöhnung in Berlin, fertig gestellt im Jahr 2000, kann nun auch Mitteldeutschland, das für sein traditionelles Lehmbauerbe weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist, mit einer zeitgemäßen Umsetzung der traditionellen Lehmbautechnik aufwarten.

Bis Ende der 1950er Jahre war in Mitteldeutschland das Bauen mit Lehm weit verbreitet. Abertausende Gehöfte und kleinere Höfe, aber auch stattliche Wohnhäuser, später Mehrfamilien- und Reihenhäuser und öffentliche Bauten wurden mit massiven Wänden aus Lehm errichtet. Solche Bauvorhaben konnten vor allem durch die Mithilfe und Eigenleistung der späteren Besitzer und in Gemeinschaftsleistung umgesetzt werden.

Auch der Bau in Pömmelte wäre ohne das Engagement und das beherzte Handeln aller Beteiligten nicht zu realisieren gewesen. Der Salzlandkreis als Bauträger hat sich bewusst für den zukunftsweisenden Architekturentwurf des Büros sußmann + sußmann, Magdeburg, entschieden. Schon die stein- und bronzezeitlichen Gebäude am Ringheiligtum wurden vor 4.000 Jahren mit Lehm und Holz erbaut. Die Stampflehmtechnik, bei der lagenweise erdfeuchter Lehm in eine hölzerne Schalung gefüllt und verdichtet wird, ist in Mitteldeutschland seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert verbreitet und wird bevorzugt in der modernen Architektur wieder angewandt.

Dank des unermüdlichen Einsatzes des Dachverband Lehm e.V. ist ein Stampflehmbau auch heute wieder genehmigungsfähig. Der Fachverband erarbeitet seit über 20 Jahren neue DIN-Normen, Richtlinien und Qualitätsstandards für den Lehmbau; und engagiert sich in der Weiterbildung für Fachhandwerker. So wurde auch die Baustelle in Pömmelte dazu genutzt, bereits zertifizierte Lehmbauer im Stampflehmbau weiterzubilden. Denn die Nachfrage nach Lehmbauten boomt. Kein anderer Baustoff ist so nachhaltig, energiesparend und gleichzeitig wohngesund wie Lehm.

Auch deshalb konnten wohl über einen Aufruf der GOLEHM-Initiative, die sich für den Lehmbau in Mitteldeutschland engagiert, knapp 50 freiwillige Helfer für den schweißtreibenden Einsatz in Pömmelte gewonnen werden. Studierende der Architektur, Denkmalpflege und Ingenieurswissenschaften haben hier über neun Wochen mit interessierten Laien und Profis die Wände hochgezogen; unter der Anleitung von Hubert Heinrichs, einem  erfahrenen Experten in Sachen Stampflehmbau. Er war schon 2007 mit der Rekonstruktion der römischen, zweigeschossigen Handwerkerhäuser im Archäologischen Park Xanten (Nordrhein-Westfalen) betraut.

Heute wurden im Beisein des Landtagspräsidenten Dr. Gunnar Schellenberger die Lehmwände von der Schalung befreit. Die einzelnen Stampflagen von gut 10 Zentimeter Höhe zeichnen sich ganz deutlich ab, die leicht unterschiedliche Färbung des Lehms strukturiert den Monolith. Die Wand ist nicht nur klimafreundlich, sondern auch ästhetisch ansprechend. Doch bevor sie endgültig bestaunt werden kann, wird sie die nächsten zwei Monate luftdurchlässig eingerüstet, damit sie trocknen und die Last des Betondachs für die nächsten 500 Jahre tragen kann.

Zum Ringheiligtum
Die touristische Anlage ist eine komplexe Holz-Erde-Architektur mit sieben Ringen aus Palisaden, Gräben und Wällen und einem äußeren Durchmesser von 115 Meter. Zahlreiche Deponierungen wie Scherben von Keramikgefäßen, Tierknochen, Steinbeile und Mahlsteine und menschliche Skelette sprechen für die Nutzung wahrscheinlich als zentrales Heiligtum mit vielfältigen Ritualen. Die interpretative Rekonstruktion der Anlage am originalen Standort umfasst 10.000 Quadratmeter Fläche mit einer neun Meter hohen Aussichtsplattform, mit Parkplatz, Zuwegung, Verbindung zum Elberadweg und Sitzmöglichkeiten. Das engere Umfeld wird weiter archäologisch erforscht.

Weiterführende Informationen zum Ringheiligtum bietet das Salzlandmuseum in Schönebeck mit einer Dauerausstellung. Gezeigt werden Grabungsfunde und weitere originale Objekte aus der Region, die die wichtigen Kulturen aus der Steinzeit und der frühen Bronzezeit erklären. Das Salzlandmuseum organisiert auch Führungen, zu regelmäßigen Zeiten im Normalfall von Ostern bis zum Reformationstag und auf Nachfrage.